Ein gutes Ende

21. September 2010

Größtenteils sind es leider eher die unangenehmen Fahrgäste, über die man redet und an die man sich erinnert. Doch – neben den vielen unspektakulären, netten „Normalos“ – chauffiert man auch hin und wieder Menschen, die eine Geschichte erzählen – ob mit oder ohne Worte. Einen für mich hier erwähnenswerten Fahrgast fuhr ich samstags in den frühen Morgenstunden nach Hause. Die Fahrt ging nicht weit, dennoch hat mein Beifahrer einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Der Auftrag versprach zunächst nichts Gutes: Abholung in einer Sportvereinskneipe. Argh, Kneipenfahrten. Ich hasse sie. 

  1. Man muss aussteigen. Nichts für Menschen wie mich, denn: Noch ein Bisschen fauler und ich wäre zu faul, um noch faul zu sein. 😉
  2. Man muss reingehen und auf sich aufmerksam machen. Wenn man nicht der „typische Taxifahrer“ ist, tut man sich damit oft schwer: „Taxi!“ – „Soll ich Ihnen eins rufen?“ – Gnaaaa.
  3. Je später die Uhrzeit, desto feuchtfröhlicher die Gäste. Und wenn man dann als junge Fahrerin einen rüstigen Rentner abholen will, ist das Gegröle der Saufkumpanen oft groß.
  4. Man schaltet schon beim Aussteigen  für gewöhnlich die Uhr ein – kleine Aufwandsentschädigung, hehe – und darf sich in 50% der Fälle auf Gemecker seitens der Fahrgäste einstellen, die dann irgendwann Minuten später, nachdem sie auch wirklich den letzten Tropfen aus ihrem Bierglas intus haben, aus der Kneipe torkeln und sich wundern, warum da schon 5,70 € auf der Uhr stehen. Tja, Freunde der Nacht, Zeit ist Geld.

Ich bin also notgedrungen rein, da stand er auch schon am Arm der Kellnerin im Türrahmen. Entgegen meiner Vermutung war er jedoch nicht betrunken, sondern gebrechlich und fast blind. Mit gesammelten Kräften und viel Zeit habe ich ihn zum Taxi geführt – ihm war das alles furchtbar unangenehm. Er hat sich tausendmal entschuldigt, er sei leider nahezu blind und müsse deshalb langsam machen. „Überhaupt kein Problem, wir lassen uns Zeit!“

Die Fahrt war, wie gesagt, nur eine Kurzstrecke – von Hoffeld nach Degerloch. Auf der Uhr standen am Ende 8,00 €, was größtenteils am Zeitaufwand des Einsteigens lag. Hätte ich das geahnt, ich hätte die Uhr erst beim Losfahren angemacht. 

Er gab mir nach mühevollem Aussteigen sein Portemonnaie, zog zwei Scheine hervor und fragte bei mir nach. „Das ist ein Fünfer und das ein Zehner.“ – „Nehmen Sie bitte beide.“ – „Kommt gar nicht in Frage!“ – „Doch, Sie waren so lieb, bitte.“ – „Machen wir’s so: Ich nehme den Zehner und bedanke mich ganz herzlich. Und jetzt führe ich Sie noch zur Tür.“ – „Wirklich? Ich kann einfach nur danke sagen. Immer wieder.“

An der Tür angekommen: „Warum sind Sie eigentlich so lieb?“  Oje. Was soll man da denn sagen? Traurig, dass mein Verhalten so außergewöhnlich für den alten Herrn war und man muss sich leider fragen, wie wohl der ein oder andere Taxikollege die Male zuvor mit ihm umgegangen ist. „Schaffen Sie’s rein? Ich bringe Sie auch gerne zur Wohnungstür.“ – „Nein, nein, das geht schon.“ Ich wollte im Taxi warten bis er wirklich im Haus war, er stand jedoch da und hat mir nachgewunken. Ich bin dann eine kleine Runde gefahren und am Schluss nochmal bei ihm vorbei, er hat es geschafft.

Ich hab übrigens nur den Fünfer genommen. Wenn ich damit mal nicht in den Himmel komme… 😀


Zweifache Premiere

19. September 2010

Gestern Abend habe ich diesen Blog (und gewöhnt euch daran, dass ich mich nicht daran gewöhnen kann, „das Blog“ zu sagen) vor der Nachtschicht ins Leben gerufen und die folgenden Stunden im Taxi überlegt, ob ich ihn wirklich mit der zwar netten, aber wenig eindrucksvollen Trinkgeldstory von nebenan beginnen soll. Nein! Ein richtiger „Opener“ musste her. Lange brauchte ich nicht zu warten. Aber fangen wir von vorne an: Vier Jahre fahre ich nun schon Taxi in Stuttgart. Fast immer nachts, jedes Wochenende und ich liebe es. Meistens.

Als Taxifahrerin in einer Männerdomäne ist der häufigste Satz beim Einsteigen: „Oh, eine Frau! Und das auch noch nachts, das hatte ich ja noch nie! Haben Sie keine Angst?“ Nö. Generell erst mal nicht, sonst hätte ich meinen Job ziemlich verfehlt. Aber natürlich gibt es Ausnahmen. So auch letzte Nacht.

Aufgegabelt habe ich die beiden Herren gegen 3.10 Uhr, als sie mir auf der Friedrichstraße wild gestikulierend praktisch vors Auto gesprungen sind. Ich habe nichts gegen Anhalter, im Gegenteil, aber doch bitte so, dass ich keine Vollbremsung  hinlegen muss und auch die hinter mir fahrenden Autos einigermaßen zivilisiert ausbremsen kann. 😉

Für gewöhnlich bin ich niemand, der potentielle Fahrgäste „scannt“ und Für und Wider abwägt, gestern hatte ich jedoch schon beim Einsteigen ein ungewohnt ungutes Gefühl. Für meinen Geschmack wurden da zwischen den beiden ein paar bedeutungsvolle Blicke zu viel getauscht, aber bevor ich richtig skeptisch werden konnte, saßen sie auch schon drin, einer VR (vorne rechts), der andere HR und sie wollten erst nach Fellbach, dann weiter.

Keine fünf Sekunden später ging es los.

VR: „So, jetzt erzähl mal. Wie ist das mit dem Alarmsystem hier? Habt ihr immer noch den Knopf über dem Knie? Du hast doch bestimmt auch Pfefferspray und ’ne Waffe, oder?“

Solche Fragen sind nicht selten und werden auch gegenüber wirklich besorgten Fahrgästen gerne beantwortet. Aber der Ton macht die Musik und in diesem Fall war ich bemüht, das Gespräch schnell  auf eine andere Ebene zu bringen, besessen von der Idee, sie von einem eventuell geplanten Übergriff abzubringen, getreu dem Motto: „Wenn Du nicht überzeugen kannst, verwirre!“.  Also hab ich das getan, das Frauen bekanntlich am Besten können: Geredet wie ein Wasserfall, über dieses und jenes, nur nicht über unser Alarmsystem.

HR war komplett schweigsam.

VR wollte es hingegen genau wissen: „Nee, aber jetzt sag doch mal. Wenn ich Dich jetzt entführen würde… Bist Du eigentlich schon mal überfallen worden? Echt nicht? Noch nie eine Notsituation gehabt?!“

Ich hab ihn dann dezent darauf hingewiesen, dass sein großes Interesse am Albtraum eines jeden Taxifahrers einen etwas befremdlichen Eindruck hinterlässt und er den Rest der Strecke gerne laufen darf, wenn er sich nicht zügelt. Taktisch wohl nicht die beste Idee, aber fürs Erste fiel mir nichts anderes ein.

VR weiter: „Kennst Du das [Kneipenname] in Fellbach? Ich zeig’s Dir dann. Es geht da auf so einen Feldweg und dann immer geradeaus.“

HR mischte sich dann mal kurz ein: „Mach dem Mädchen doch keine Angst…“

Fieses Gelächter. Da war ich dann so richtig entspannt. Nur was tun? In vier Jahren ist nichts dergleichen passiert. Und genau genommen war ja auch noch gar nichts passiert. Man malt sich schon mal das ein oder andere Szenario aus und wüsste sich jedes Mal zu helfen, aber Tatsache ist: Ich war hilflos. Und hin- und hergerissen. Der Typ neben mir sah aus wie der Anführer der Hells Angels und HR hatte ich noch gar nicht zu Gesicht bekommen, fand ihn allerdings nur unwesentlich weniger Angst einflößend. Einen Notruf abzusetzen erschien mir dennoch übertrieben. Weder wurde ich verbal eindeutig bedroht, noch gab es irgendeine Waffe, von der ich wusste. Und selbst wenn, ich war mir nicht einmal sicher, welcher Knopf überhaupt welchen Alarm auslöst.

Dank modernster Technik ist unser Alarmsystem im Taxi nämlich relativ komplex. Es gibt stillen Alarm, lauten Alarm, diverse Vorstufen dazu,  Mikrofon, GPS, Funk und stets hilfsbereite Kollegen, die – wenn man Gerüchten glauben darf – schnell unterstützend vor Ort sind und dem Übeltäter böse auf die Nase hauen. 😉

Dann erinnerte ich mich an eine Vorstufe des offiziellen Notrufs, von der ich vor vier Jahren, als ich gerade den Taxischein machte, zum ersten und letzten Mal hörte. Gut möglich, dass unsere Zentrale die Funktion längst deaktiviert oder geändert hatte. Aber einen Versuch war es wert, ich musste nur noch auf einen geeigneten Zeitpunkt warten.

Als HR an der Kneipe, die übrigens an einer Hauptstraße lag, ausstieg und VR, der mit mir weiterfuhr, kurz abgelenkt war, habe ich der Zentrale signalisiert, dass hier unter Umständen gleich was passieren könnte. Diese Meldung ist vergleichbar mit dem stillen Alarm – ich bekomme keinerlei Rückmeldung und nicht selten weigert sich das Funkgerät bei hohem Traffic Befehle auszuführen. Aber für ein zweites Mal bot sich keine Gelegenheit und VR lotste mich inzwischen relativ schweigsam durch verlassene Seitenstraßen, kam noch mal auf meinen „gefährlichen Job bei diesen vielen bösen Menschen“ zu sprechen und deutete dann relativ zusammenhangslos seine Vorstrafen und Knastvergangenheit an.

In einer Sackgasse am Ortsrand angekommen ließ er mich bis ans Ende fahren, dort wenden und in kurzen Abständen meterweise zurückrollen. Wieder so eine pulsbeschleunigende Angelegenheit. Dann das überraschende Ende: Er bezahlte und stieg aus. Ich fuhr zurück auf die Hauptstraße und war inzwischen sicher, dass mein Signal in der Zentrale nicht einging oder wenn, dann zumindest unterging. Gerade wollte ich melden, dass sich meine Anfrage erledigt hat, als auch schon der Selektivruf der Zentrale kam:

„[Ordnungsnummer]? Alles okay bei Ihnen?“

„Ja. Er hat nur ein Bisschen viel von Überfall geredet und war allgemein komisch drauf.“

„Ich hab’s gehört. Ich war die ganze Zeit bei Ihnen. Also brauchen wir keine Polizei?“

„Nein…“

„Ich war von Anfang an bei Ihnen und hab zugehört. Die ganze Zeit über. Okay?“

„Ja. Danke.“

Vielleicht hat sich VR tatsächlich spontan gegen einen Übergriff entschieden. Vielleicht habe ich die Not in der „Notsituation“ aber auch vollkommen überbewertet. Womöglich war es überflüssig, die Zentrale einzuschalten und VR einfach nur ein Idiot, der bewusst oder unbewusst mit den Ängsten seines Fahrers spielt. Dennoch hätte die Fahrt ohne weiteres ein weniger schönes Ende nehmen können und es war, wenn auch für mich erst im Nachhinein, ungemein beruhigend zu wissen, dass der Schichtleiter in der Zentrale sofort reagiert und die Situation zusätzlich überwacht und bewertet hat. Auch hätte er  ohne zu zögern die Polizei alarmiert, wäre ich dazu nicht gekommen.

VR hat von alledem natürlich nichts mitbekommen. Bleibt zu hoffen, dass er sich das nächste Mal nicht wieder so gedankenlos äußert und ein anderer Kollege seinetwegen Blut und Wasser schwitzen muss.

Der Rest meiner Schicht verlief dann ohne weitere Vorkommnisse, aber der Gedanke, dass im Zweifelsfall jemand bei einem ist, wird mich in Zukunft sehr viel sicherer durch viele weitere aufregende Nächte bringen. Alles in allem eine feine Sache und nochmals gilt mein Dank dem Zentralisten, dessen Stimme um halb vier Uhr morgens auf irgendeiner verlassenen Straße in Fellbach ich nach den längsten zwanzig Taximinuten meines Lebens so schnell nicht vergessen werde. 😉