Als ich im Januar vor drei Jahren bei meinem jetzigen Chef angefangen habe, flatterte bereits nach wenigen Wochen eine Vorladung von der Zentrale ins Haus. Ein Kollege hatte sich über mich beschwert, weil ich ihm seine Fahrgäste weggeschnappt haben soll.
Ich hatte damals eine Fahrt zu den Patch Barracks nach Vaihingen, mein Fahrgast springt raus, drei Typen springen rein. Beim Losfahren bemerke ich im Rückspiegel noch ein zweites Taxi, denke mir aber nichts dabei und fahre weiter. Blöd nur, dass meine Fahrgäste eben jenen Kollegen über die Zentrale bestellt haben, der extra vom Taxiplatz angefahren kam und nun wegen mir eine Fehlfahrt hatte.
Der Schichtleiter hat mich daraufhin ein bisschen zusammengebügelt, meinte aber nach einem Blick in meine digitalisierte Personalakte:
„Oh, Sie fahren ja schon seit zwei Jahren und haben bisher keinen einzigen Eintrag! Selten so eine weiße Weste gesehen! Schade, jetzt haben sie den Ersten.“
Heute hab ich mich dann mal wieder mit einem Kollegen angelegt und harre freudig der Dinge, die da noch kommen mögen, sofern er sich denn traut. Was genau sein Problem war, hab ich zwar immer noch nicht so ganz kapiert, aber vielleicht bringt ihr Licht ins Dunkel.
Zum besseren Verständnis ein paar kurze Erklärungen zu unserem Funk:
„SILLEN“ steht für den Taxiplatz in Stuttgart-Sillenbuch.
„P:1“ bedeutet Position 1, ich bin also Erster am Platz.
„600“ ist der Code für den Sektor Sillenbuch. Ganz Stuttgart ist von unserer Zentrale in Sektoren unterteilt. Jeder Sektor hat einen Taxiplatz und jeder Platz einen solchen dreistelligen Code. Könnte ich jetzt alle aufzählen, mach‘ ich aber nicht. 😉
Die „3“ bedeutet, am Taxiplatz sind drei Taxis eingeloggt.
Der erste Unterstrich bedeutet, es sind keine freien Taxis im Sektor 600 unterwegs, die nicht am Platz stehen.
Der zweite Unterstrich bedeutet, es sind keine besetzten Taxis mit Fahrtziel Sektor 600 unterwegs.
Die „1“ bedeutet, es gibt eine Vorbestellung in der nächsten Stunde.
Die „0“ bedeutet, es gingen keine Aufträge in der letzten halben Stunde raus.
Man hat also einen ganz guten Überblick über alles, was im Sektor, in dem man sich gerade aufhält, taximäßig so los ist.
Mein Tête-à-tête mit dem wertgeschätzten Kollegen fand allerdings woanders statt. Tatort war der Taxiplatz am Hotel „Le Méridien“. Der sieht so aus:
Vorne sieht man ein weinrotes Taxi gerade die Biege machen, die beiden Autos rechts im Bild parken verbotenerweise auf dem Taxiplatz, der sich über die gesamte graue, abgesteckte Fläche erstreckt. Ungefähr schräg rechts hinter mir steht ein Taxi, das man auf dem Foto nicht sehen kann. Logischerweise hab ich erst nach dem kleinen Zwischenfall alles dokumentiert, die Situation war witzigerweise exakt dieselbe.
Als ich den Platz anfuhr, war der Kollege, der eben wegfährt, noch als Erster und Einziger eingeloggt. Ich hab mich positioniert und war erst kurz Zweiter, dann Erster, als besagter Kollege die Uhr anmacht. Ich war bis zum Einloggen das einzige freie Taxi im Sektor, sonst wäre ich gar nicht erst hingefahren, da der Sektor sehr klein ist. Wer da frei unterwegs ist, steuert zweifelsfrei den Platz an. Und als Dritter hätte ich nämlich keinen Bock gehabt.
Das Taxi, an dem ich links vorbeigefahren bin, blieb daher von mir unbeachtet. Da parken schon mal Kollegen, die Pause machen, im Hotel ’nen Kaffee trinken oder was auch immer tun oder lassen. Als ich gerade vorne einparken will, kommt das hintere Taxi angeschossen, gibt mir Lichthupe und der Fahrer fuchtelt wild rum. In dem Moment kommt auch schon der Portier aus dem Hotel und lädt bei mir Gepäck ein, in der Annahme, ich sei Erster am Platz, was ich ja eigentlich auch war.
Ich frage den Kollegen freundlich, ob er keinen Funk habe und eigentlich Zweiter sei. Er verneint und deutet auf sein Funkgerät. Ich frage ihn, warum er sich nicht positioniert habe. Er sagt, er habe schon einen Auftrag. Ich frage ihn, was dann sein Problem sei. Er schreit mich an. Ich tue so, als würde ich ihn akkustisch nicht verstehen und fahre die Scheibe hoch.
Mein Fahrgast steigt ein und ich will losfahren, aber der Kollege macht keine Anstalten, mich rauszulassen. Ich fahre die Scheibe wieder runter und versuche ihn mit fiesen Blicken einzuschüchtern. Er brüllt mich immer noch an, er würde schon so lange warten (1. Warum war er dann nicht Zweiter? 2. Falls er vergessen hat, sich zu positionieren, warum war er dann nicht als „frei“ im Sektor aufgeführt?). Ich frage ihn. Er tut so, als würde er mich akkustisch nicht verstehen. Ha!
Mein Fahrgast ist inzwischen sichtlich irritiert, die Portiers gucken auch schon ganz komisch. Mein cholerischer Kollege schlägt immer noch wild um sich und brüllt mich an, das würde ein Nachspiel haben. Scheiß Frauen, zu blöd zum Taxifahren, blablabla. Er schreibt sich meine Ordnungsnummer auf und rollt mürrisch ein paar Meter zurück. Man darf gespannt sein.
Eine logische Erklärung: Er hatte bereits einen Auftrag, der Fahrgast kam aber nicht, er hat das der Zentrale nicht schnell genug gemeldet und war dann not so amused, als ich nach dreißig Sekunden schon einen Einsteiger hatte. Wenn’s denn so gewesen wäre, hätte ich ihm meinen Fahrgast selbstredend überlassen. Hätte er mir nur sagen brauchen – hat er aber nicht.
Viel wahrscheinlicher ist sowieso: Er kam gerade aus der Pause zurück, hatte das Funkgerät aus, hat den Kollegen vorne wegfahren sehen und dachte sich, er könne doch mal so tun, als würde er schon ewig als Zweiter stehen.
Mal sehen, ob wirklich was von der Zentrale kommt. Ich fürchte um die Reinheit meiner blütenweißen Weste. So langsam wird sie dunkelgrau – aber hey, er hat angefangen!
Ach ja, nachdem ich gestern über Gutscheine geschimpft habe: Heute bekam ich wieder einen. Bei einer Fahrt für 184,50 € lasse ich mir das aber gefallen, insbesondere, wenn sogar auf 200 € aufgerundet wird und man den Betrag ganz unbürokratisch selbst eintragen darf. Yippieh! 😀