Ich sehe dumme Menschen!

26. Mai 2013

Bedenkt man, dass meine Fahrgäste nichts anderes als ein Querschnitt der Gesellschaft sind, sollte man erwarten, dass ich öfters an Arschlöcher gerate. Hielt sich bislang erstaunlicherweise in Grenzen, aber heute war mal wieder so eine Nacht…

Ich war jedenfalls schon von Anfang an nicht gerade begeistert, aber mich fragt ja keiner:

Erstens war ich bereits ganz gemütlich im heimatlichen Sektor für mein nahendes Schichtende unterwegs und auf maximal zwei, drei kurze Fahrten eingestellt.

Zweitens goss es in Strömen und an der Abholadresse gab es weder Hausnummer noch beschriftete Klingelschilder.

Und drittens verpestete mein werter Fahrgast, als er sich dann endlich mal zu erscheinen bequemte, die Luft im Taxi derart, als hätte er eine verweste Kanalratte bei sich getragen (und diese vor dem Aussteigen noch unter der Fußmatte versteckt – es war ab-ar-tig, und ich bin sonst echt nicht empfindlich).

Wenn man nun also plant, von Riedenberg nach Münster zu fahren, muss man wissen: diese beiden Stadtteile Stuttgarts könnten kaum weiter auseinander liegen. Dass man deshalb auch nicht binnen drei Minuten am Ziel ist, sollte zumindest theoretisch klar sein.

Auf der Hälfte der Strecke vernehme ich aber undeutliches Motzen von der Rückbank.

„Bitte?“

Er versucht wohl für einige Sekunden, seinen Unmut höflicher kundzutun. Erfolglos:

„Boah, wo kurven wir hier eigentlich die ganze Zeit rum? Sind wir jetzt endlich mal da?!“

Na, was soll man dazu großartig sagen? „Such Dir halt ein näheres Fahrziel aus“?! Hirni.

Qualvoll lange zehn Minuten später, endlich am Ziel:

„Also ich weiß ja echt nicht, was Sie hier die ganze Zeit zusammenfahren… Aber ich hätte gerne mal Ihre Taxinummer. Und eine Quittung.“

„Können Sie natürlich haben. Aber wie wären Sie denn gefahren? Das war die kürzeste Strecke.“

„Ich sage nur, dass ich noch nie so lange nach Münster gebraucht habe…“

Tja, das kann ich leider nicht so ganz glauben. Sollte er sonst nicht gerade im Helikopter sitzen, hätte es mich tatsächlich brennend interessiert, wann und wie er diese Strecke denn schneller fährt als an einem Sonntagmorgen kurz nach vier. Aber wozu noch diskutieren…

„Gut, das macht dann jedenfalls 27,20 €.“

„Machen Sie 30. Schönen Abend noch…“

Hä?

Weil einem so etwas nach Murphy’s Law aber grundsätzlich unmittelbar vor dem geplanten Schichtende passiert, musste ich kurzerhand noch einen Fahrgast auftreiben, der mich wieder fröhlich stimmt. Hat auch einwandfrei geklappt, denn jener betrat das Taxi mit „Wow!“ – bin mir im Nachhinein aber etwas unschlüssig, ob das nicht doch dem hartnäckigen Kanalratten-Odeur galt – und verließ es nach großzügiger Trinkgeldgabe. Seelenfrieden wiederhergestellt.

Und nachdem ich jetzt doch noch mal recherchieren musste (man ist ja nicht fehlerfrei): die gefahrene Route war nicht nur die allerkürzeste, quasi Luftlinie, sondern auch die schnellste, die sich noch dazu über alle drei empfohlenen von Google Maps hinwegsetzt. Take this!


Trügerische Trachten

5. Mai 2013

Es ist mal wieder Wasenzeit. Ein Grund zum Jubilieren allemal, auch wenn ich es doch lieber den robusteren Kollegen überlasse, die Bierleichen abzutransportieren und mich stattdessen in der taxiarmen Innenstadt mit dem normalen Wahnsinn beschäftige. Nachdem dort aber gestern nicht viel los war und ich bei meinen allesamt kultivierten Fahrgästen mit ihren schönen Touren und dem beachtlichem Trinkgeld vor Langeweile fast gestorben wäre, habe ich mich zu später Stunde nach ein bisschen mehr Action gesehnt und mich von Funkmeldungen wie:

„Alles Verfügbare sofort zum Wasen!!!“

(nur Alle verfügbaren Einheiten“ wäre noch dramatischer gewesen…)

dazu verleiten lassen, doch mal nach Cannstatt rauszufahren.

Und ich muss schon sagen, diese Trachten führen einen in die Irre! Da steuert ein hübsches Pärchen in Dirndl und Lederhosen auf mich zu und das sonst so geübte Taxifahrerauge übersieht sofort, dass die beiden nur Arm in Arm gehen, um nicht umzufallen. Stattdessen denke ich:

„Ja mei, is‘ des schee. Die schauen aber nett aus! Und so harmlos. Die sind bestimmt den ganzen Abend Kettenkarussell gefahren und haben sich gegenseitig mit Zuckerwatte und Lebkuchenherzen gefüttert.“

Und dann schreit’s auf der B27 plötzlich doch:

„Haltanmirwirdschlecht!“

Und das, obwohl ich jeden meiner Wasenkunden prophylaktisch gefragt habe, ob es ihm auch wirklich gut gehe. Schließlich will ich vorbereitet sein. Doch wohl aus Angst, des Taxis verwiesen zu werden, geben es die meisten gar nicht erst zu. Stattdessen muss man sich an unheilvollen Seufzern von der Rückbank und Geflüster wie „In der Currywurst war irgendwas drin…“ oder „Lass doch erst mal das Fenster ein bisschen runter“ orientieren.

Doch jeder verdient eine zweite Chance, so auch der gemeine Wasengänger.

Mein Nächster war zwar nicht ganz so betrunken, dafür aber nicht weniger anstrengend:

„Ich weiß nicht, wo ich hin muss und Geld hab ich auch keins.“

Frustriert sinkt er auf dem Beifahrersitz in sich zusammen.

Ich bekomme Mitleid und sage mir: Sei nicht so hart zu ihm, wie oft hast Du Dich schon selbst ohne Geld und Orientierung in einer fremden Stadt wiedergefunden…? 😉

Nach eindringlicher Befragung meinerseits zog er dann doch noch eine Hotelreservierung aus der Lederhosentasche und so konnte es losgehen. Und das tat es dann auch:

„Das hab ich noch nie erlebt. Meine Freundin ist gerade abgehauen. Wir haben uns gestritten, weil ich mit einer anderen Frau geredet habe. Nur GEREDET! Dann hat sie mit Bierkrügen geworfen, für die ich 200 € bezahlen musste und jetzt ist sie weg. Sie hat den Rucksack und mein Ladegerät und die Schlüssel und das restliche Geld. Aber ich hab die Hotelreservierung! Sie weiß ja gar nicht, wo unser Hotel ist. Wir kommen eigentlich nicht von hier und wollten uns morgen verloben, aber jetzt hat sie Schluss gemacht.“

Oi…

„Aber Du kannst sie doch nicht einfach hier zurücklassen. Sollen wir sie nicht besser suchen?“

Wir? Was ist in mich gefahren?!

„Pah, die kann von mir aus auf der Straße schlafen. Ich könnte sie totschlagen!“

„Na, na!“

Ich hätte Kindergärtnerin werden sollen. 😀

„Jetzt ruf sie doch erst mal an. Sie hat sich bestimmt schon wieder beruhigt.“

„Ich hab aber nur noch 1% Akku! Und ich weiß nicht mal ihre Nummer auswendig!“

Er wirft die Hände in die Luft. Es ist hoffnungslos.

„Okay, Vorschlag: Du liest die Nummer aus Deinem Handy ab und ich schreib sie auf. Dafür wird es wohl noch reichen. Dann haben wir wenigstens mal ihre Nummer, wenn das Handy ausgeht. Und danach rufst Du sie von meinem Handy aus an.“

„Unfassbar, Du bist ja eine Göttin! Du bist so klug! Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen!“

Er hat Recht. Manchmal sind meine Ideen durchaus nobelpreisverdächtig.

Eine Kreditkartenbelastung, ein verheißungsvolles Telefonat („Schatz, wir können immer noch morgen Schluss machen!“) und einen überaus feuchten Handkuss später wäre auch dieses Problem gelöst.

Ich wollte sie, ich bekam sie: genug Action für eine Nacht.


Oh, Theo!

30. Dezember 2012

Wer von meiner ewigen Auto-parkt-auf-Taxiplatz-Nörgelei genervt ist, möge bitte nicht weiterlesen. Ich kann es ja selbst schon nicht mehr hören, aber das ändert leider auch nichts an der Situation. Gestern dachte ich schon, meine Gebete seien erhört worden, als ich im Rückspiegel sehe, wie ein Abschleppwagen hinter mich auf den Platz fährt. Mein Herz macht einen aufgeregten Freudensprung, aber der Fahrer musste dann doch nur kurz telefonieren. Auf dem Taxiplatz…

Kleine Gedächtnisauffrischung:

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Selbst die Polizei hat letzte Nacht ganz gemütlich eine Verkehrskontrolle auf dem Taxiplatz durchgeführt und mit der Streife plus gestopptem Fahrzeug einfach mal ein Drittel des Platzes blockiert, anstatt – wie sonst üblich – einen der zwei Fahrstreifen zu nutzen und uns in Ruhe zu lassen. Mir scheint, man respektiert uns nicht mehr so richtig…

Voriges Wochenende stand ein Reisebus (!) über Stunden (!!) vorne auf dem Platz, in zweiter Reihe neben den üblichen Falschparkern, woraufhin mir eine zugeparkte Falschparkerin ihr Leid klagte und nicht so ganz verstanden hat, warum ich keine Lust hatte, auszusteigen und ihr beim Ausparken behilflich zu sein. Ich hab sie also genüsslich eine Viertelstunde rangieren, verzweifelt um den Bus herumlaufen und wieder rangieren lassen, bis ihr dann doch noch ein Fußgänger aus der Misere geholfen hat. Schade, hatte gerade angefangen, Spaß zu machen.

Neulich meinte ein Kollege zu mir, auf der anderen Straßenseite sei ja auch noch ein Taxiplatz. Ich hab ihm nicht geglaubt, fahre ich doch seit Jahren jedes Wochenende tausendmal da vorbei. Gestern hab ich genauer hingeguckt und: Tatsache. Den habe ich nur noch nie gesehen, weil da immer parkende Autos drauf stehen, ha ha.

Auch in der Kronprinzstraße gibt es einen Stellplatz für ein einzelnes Taxi, auf dem genauso munter normale Autos aus- und einparken. Wen interessiert da schon das Taxi im Rückspiegel…

Aber gerade in der Theo ist das Problem, dass man, wenn man auf dem dortigen Taxiplatz nicht unterkommt, erst mal die komplette Theo und Friedrichstraße runterfahren, wenden und die komplette Friedrichstraße und Theo wieder hochfahren muss, um zurück in die Innenstadt zu kommen. Und dafür braucht man mindestens zehn Minuten, weil die Polizei zu später Stunde sämtliche Wendemöglichkeiten sperrt und sich ellenlange Ampelstaus bilden.

Da ist es schon ärgerlich genug, wenn Kollegen die Zufahrt auf den Platz blockieren, indem sie nicht aufrücken oder großzügig Abstand halten und man deshalb vorbeifahren muss. Umso schlimmer, wenn Fahrzeuge den Platz besetzen, die dort schlicht nicht hingehören. Wie auch gestern wieder.

Klopf-klopf.

„Ich müsste hier raus.“

„Schön, aber das hier ist eigentlich ein Taxiplatz!“

 „Ja, soll ich jetzt etwa die ganze Nacht hier warten oder was?!“

Weiß der Teufel, warum ich einen netten Moment hatte und ihr nicht ordentlich die Leviten gelesen habe. Das wäre jedenfalls die Gelegenheit gewesen, einfach mal

 „Ja, genau das!!! Viel Spaß, bis 6 Uhr morgens stehen hier durchgängig Taxis!“

zu sagen.

„Nö, ich wollt’s nur erwähnt haben, weil es echt maximal nervt, ständig jemanden rauszulassen.“

„Okay, das tut mir leid, hab ich nicht gesehen…“

(Sie parkt direkt unter obigem Verkehrsschild.)

Dem Kollegen hinter mir ist dann aber doch noch kurz der Kragen geplatzt, er steigt aus, läuft dunkelrot an, holt tief Luft und staucht das Mädel zusammen:

„DAS IST EIN TAXIPLATZ!!! DAS IST U-N-S-E-R PARKPLATZ!!! IHR IDIOTEN SEID ALLE ZU BLÖD, SCHILDER ZU LESEN – UNVERSCHÄMT, FRECHHEIT!!! NUR WIR DÜRFEN HIER PARKEN, VERDAMMT NOCH MAL!!!!!!“

Puh, selbst ich stand kurz davor, für ihn den Platz zu räumen. 😉 Aber Recht hat er. Die parkt wohl nie wieder hier.

Dann rücke ich auf und stelle mich dicht neben einen Falschparker, damit ich nicht den ganzen Fahrradweg blockiere, als dieser die Fahrertür öffnet und sie mir dabei fast ins Auto rammt.

Ich, gebetsmühlenartig:

„Hallo, das ist ein Taxiplatz! Parken verboten.“

„Äh … ach so … Ja, stört Dich das denn?!“

„JA!?!“

„Hmmm. Das ist jetzt aber blöd, weil ich schon getrunken habe. Ich kann unmöglich hier wegfahren. Ich schlafe nachher auch im Auto. Ich dachte, es ist okay, weil hier alle parken.“

Da hat er natürlich nicht ganz Unrecht: ab fünf Falschparkern in einer Reihe verliert das absolute Halteverbot schließlich seine Gültigkeit… Aber ich hatte dann auch keine Lust mehr, mich mit einem besoffenen Vollidioten rumzustreiten. Ein Kampf gegen Windmühlen.

Wer sich mal ein (zugegeben schlechtes) Bild machen will:

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Das Halteverbotsschild befindet sich nicht im Bild, gut sichtbar sind dafür die vermeintlichen Parklücken und die TAXI-Bodenmarkierung. Ist mir ja unerklärlich, wie manche Leute da tatsächlich auf die Idee kommen, der halbe Meter zwischen Randmarkierung und Bordstein wäre zum Parken geeignet oder – noch schlimmer – gar vorgesehen.

So, und jetzt schreibe ich drei böse Briefe an die Taxizentrale, die Stadt und die Polizei und gehe danach zum Kickboxen, um mein emotionales Gleichgewicht wiederherzustellen. 😀


Frau Weiß

25. Dezember 2012

Jeder Taxifahrer in und um Degerloch kennt Frau Weiß*. Auch ich kenne sie schon sehr lange. Erstmals begegnet sind wir uns vor vielen Jahren, es muss Mitte 2006 gewesen sein, also ganz zu Beginn meiner Taxizeit. Damals stand ich eines Nachts allein am Degerlocher Taxiplatz, als Frau Weiß an mein Fenster klopfte und Kleingeld für den Zigarettenautomaten erbat. Leider hatte ich kaum mehr Münzen und konnte ihren Wunsch nicht erfüllen, was ich ihr aber sehr freundlich mitteilte.

Doch damit war Frau Weiß ganz und gar nicht einverstanden und so folgten prompt lautstarke Flüche in ausländischer Sprache, worauf ich ja grundsätzlich tiefenentspannt reagiere, diese allerdings kombiniert mit heftigen Tritten gegen mein Auto, was ich nie so super finde und deshalb die Flucht ergriffen habe.

Jahre später. Wir haben tiefsten Winter. Eiseskälte. Schneegestöber. Frau Weiß hat sich einen Mantel übergeworfen und läuft sichtlich in Rage vor dem Taxiplatz hin und her. Ihr Mantel steht offen. Sie trägt nur diesen Mantel. Ich rutsche tiefer in den Sitz und flehe um einen Funkauftrag, den ich dann auch glücklicherweise erhalte.

Wiederum Jahre später. Frau Weiß steuert gut gelaunt auf mein Taxi zu. Leider erkenne ich sie immer erst, wenn sie den Mund aufmacht, doch dann ist es schon zu spät. Wir fahren in ihre – glücklicherweise nicht weit entfernte – Straße. Im Auto zieht sie sich halb aus, dreht das Radio auf und singt lauthals mit. Am Ziel angekommen fordert sie mich auf, auszusteigen und mit ihr zu tanzen. Bezahlen will sie erst, wenn wir getanzt haben. Langsam wird sie auch schon wieder ungemütlich und zerrt an mir herum. Ich warte auf einen günstigen Moment, ziehe die Beifahrertür von innen zu und fahre davon, während sie halbnackt über den Innenhof hüpft. Zurück am Taxiplatz bemerke ich, dass sie beim Aussteigen einen Fünf-Euro-Schein verloren hat.

Heute stehe ich erneut in Degerloch, bekomme einen Frauen-Nachttaxi-Auftrag der SSB und warte am Platz auf meine Kundin. Frau Weiß, resolut wie immer, betritt das Feld und startet direkt einen kleinen aufgeregten Disput mit einem anderen Kollegen. Da erkenne ich sie – allerdings wieder zu spät, denn auch sie hat mich schon gesehen.

„Nachttaxi?“

rufe ich ihr etwas ängstlich zu.

„Welcher Name?“

fragt sie argwöhnisch, als würde ich sie in die Falle locken wollen.

„Für Weiß…“

An meiner Spontanität muss ich noch arbeiten, ein anderer Name und es wäre so einfach gewesen… Meine Kollegen werfen mir mitleidige Blicke zu.

„Fahr mich bis fünf Euro, ich hab kein Geld!“

(Die SSB zahlt fünf Euro als Festpreis für die Anschlussbeförderung, was darüber hinausgeht, die Kundin – so zumindest der Plan).

Frau Weiß packt meinen Arm, fordert in gewohnter Feldwebelmanier einen mir unbekannten Radiosender (herrje, immer diese Extrawünsche, von denen sich kein einziger auf einem meiner zehn sorgsam ausgewählten Speicherplätze befindet…). Als er erklingt, ist sie wieder glücklich.

„Heute ist Weihnachten!!! Fröhliche Weihnachten! Ich will Dir was schenken!“

Wie wäre es mit Geld, denke ich.

„Das ist lieb, aber wirklich nicht nötig.“

„Doch, ich schenke Dir was! Gib mir Deine Karte, dann rufe ich an und schenke Dir was!“

„Ähm, ich hab leider keine Karte. Und ich arbeite heute auch nur ausnahmsweise…“

„Was machst Du sonst?“

„Büro…“

„Büro?“

„Büro!“

„Büro… Ich schenke Dir eine Vase. Fürs Büro. Da kannst Du eine Rose reinstecken. Und noch eine CD. Hast Du hier CD? Eine Frank-Sinatra-Weihnachts-CD. Wehe, Du gibst sie einem anderen! Frankie Boy die ganze Nacht!“

Widerspruch zwecklos.

Sie verschwindet im Haus, natürlich ohne den Restbetrag zu bezahlen, und ich überlege ernsthaft, ob ich wieder abhauen soll. Doch da kommt sie schon zurück und überreicht mir feierlich eine Vase, eine CD … und eine Packung Spaghetti.

„Frankie Boy und Spaghetti Bologneeeese!“

trällert sie lauthals in die Nacht hinein.

„Pssssst!“

mache ich und renne die Stufen runter.

„Du bist so süß!“

kreischt sie und will mich einholen. Ich bin schneller.

 Foto1087

 *Name geändert

PS: Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass ich von einem ganz liebenswert beschwipsten alten Opi Milkaherzen geschenkt bekommen habe.

Da nestelt er erst ewig in seiner Tasche rum und sagt dann: „Junge Frau, Sie brauchen jetzt keine Angst haben, wenn ich hier was heraushole, ich möchte Ihnen nur was schenken!“ Maximal süß! 😀


Man muss nur fragen

24. Dezember 2012

… dann gibt es sie, die großen Touren.

Ich stehe am Kronprinz und werde als eigentlich Zweite am Platz von zwei Männern mittleren Alters auserkoren, die sich leider nicht zum Ersten hin abwimmeln lassen wollten.

„Zum Brunnenwirt – gleich da unten, wir haben nur keine Lust mehr zu laufen, hehe.“

Solche Leute liebe ich ja.

„Sorry, ist jetzt leider keine weite Tour.“

„Macht nichts, das ist mein Schicksal heute.“

„Ach so – ja, brauchst Du denn noch ne längere Fahrt?!“

„Wäre schon schön. Mal sehen, was noch kommt.“

„… weil wir müssten nachher noch nach Hirschlanden.“

Nie gehört, also muss es weit draußen sein. Bingo!

Die beiden haben dann freundlicherweise binnen knackiger fünfzehn Minuten ihr Essen inhaliert (ich hätte allein für die Auswahl des Menüs so lange gebraucht…) und ab ging’s. Satte 50 € später rückt mein Feierabend erfreulich nahe.

„Schade, dass ich hier schon aussteigen muss“,

meint der Erste.

„Ja, das war jetzt echt die schönste Taxifahrt unseres Lebens!“

der andere.

Musste er aber auch sagen, nachdem er mich zum Thema „Was schenke ich meiner Frau kurzfristig zu Weihnachten?“ ins Kreuzverhör genommen hat und ich ihm erst mal die Konfektionsgrößen ausgewachsener Frauen erläutern musste, damit er nicht mit Anlauf ins Fettnäpfchen springt (er kannte nur Kindergrößen und geht am 24. noch ein Geschenk für seine Frau kaufen, das personifizierte Klischee). Da hab ich wohl mal eben die Scheidungsrate gesenkt – gern geschehen!

Auch niedlich fand ich das Résumé zweier Fahrgästinnen von neulich:

A: „Das war jetzt aber doch ne ganz schön lange Fahrt.“

B: „Ja, aber ging irgendwie auch voll schnell, oder?“ 😀

Ihr seht: nichts allzu Spannendes in letzter Zeit. Ich bin umgeben von dankbaren, Süßholz raspelnden Fahrgästen. Auch mal schön!

Und weil ich es heute im Taxi noch nicht oft genug sagen konnte, wie es quasi aus mir heraussprudeln wollte:

„Fröhliche Weihnachten!“ 🙂


Die Ungläubigen

24. November 2012

Gestern war mal wieder so eine Nacht, in der mir kaum ein Fahrgast zutrauen wollte, als relativ junger weiblicher Mensch ein relativ großes Auto unfallfrei und ortskundig durchs relativ überschaubare Stuttgart zu bewegen.

So zweifelte auch der männliche Teil eines netten Pärchens, das mir am Rotebühlplatz zustieg:

„Du fährst aber noch nicht lange!“

(Gerade erst losgerollt, konnte ich so großartig noch nichts falsch gemacht haben.)

„Doch, bald sieben Jahre.“

„Neeee. Glaube ich nicht. Wir fahren immer am Wochenende mit dem Taxi, wir wohnen quasi im Taxi, und wir haben Dich noch nie gesehen!“

Na, wenn das mal kein Beweis ist bei mehr als 700 Taxis… Aber dass ich ohne Navi den Weg zum Zielort gefunden habe, hat seine Skepsis auch nicht vertrieben.

„Ich teste Dich jetzt: Wo ist die alte Messe? Und wo die Neue?“

Knallharte Testfragen, die hundertprozentig niemand aus Stuttgart beantworten kann, der nicht auch wirklich den Taxischein hat. 😉

Beide Fragen zum Glück richtig beantwortet, konnte ich ihn schlussendlich davon überzeugen, dass ich das Taxi nicht geklaut habe und der richtige Fahrer auch nicht geknebelt im Kofferraum liegt.

Andererseits, so ganz Unrecht hat er nicht. Immer wieder passiert es mir, dass ich in noch einigermaßen zentrale Gegenden komme, in denen ich mich eigentlich besser auskennen sollte als ich es tue.

So geschehen, als ich einen Fahrgast in der Ruhrstraße in Cannstatt absetze, mich aus dem Seitenstraßenwirrwarr zurück auf die Hauptstraße kämpfe, mich dabei verfahre (!!!), das Straßenschild Winterhaldenstraße lese und entsetzt denke:

„Boah, wie es doch immer wieder Straßennamen gibt, die ich noch niiieee gehört habe!“

Zurück in der Innenstadt, vier neue und ähnlich kritische Fahrgäste wie ihr Vorgänger:

„In die Winterhaldenstraße“,

 sprach’s herausfordernd und ohne nähere Lagebezeichnung.

„Du fährst jetzt aber nicht ohne Navi? Ernsthaft jetzt?!“

„Entschuldige mal, ich bin Taxifahrerin, natürlich kenne ich die Straße.“

Hrhrhrhr…

„Respekt, ehrlich. Alle anderen Taxifahrer fragen immer, wo das ist.“

(Puh, das beruhigt mich wieder ein bisschen. Andererseits macht es mich auch traurig, wenn man bedenkt, was eigentlich unser Job ist. 😀)

„Warum fährst Du Taxi?“

vernehme ich dann eine zuckersüße, alkoholgeschwängerte Frauenstimme aus dem Fond.

„Weil sie’s kann“,

die Antwort meines Beifahrers.

„Haha, also, warum fährst Du Taxi?“

„Hm, hauptsächlich, weil’s Spaß macht!“

„Ja, aber warum fährst Du Taxi?“

„Äh, ja, und natürlich noch aus monetären Gründen…“

„Jetzt sag mal ehrlich, warum fährst Du Taxi?“

Worauf sie hinauswollte, war mir nicht ganz klar, also frage ich zurück:

„Warum nicht?“

Da wusste sie dann auch keine Antwort. Siehste.

In der von jetzt an für immer unvergessenen Winterhaldenstraße wartet sie bis die Männer ausgestiegen sind, beugt sie sich verschwörerisch zu mir nach vorne und mahnt:

„Nie das Ziel aus den Augen verlieren!“

Ein sehr guter Rat. Vergisst man nur allzu oft.


Don’t wake me up, up, up, up, up

24. November 2012

Der dritte Promi in meiner Taxikarriere darf natürlich nicht unerwähnt bleiben:

Ich habe gestern den US-amerikanischen, Hip-Hop-, Contemporary-R&B- und Popmusiker, Songwriter, Tänzer, Schauspieler und Rapper (mei, der kann was!) Chris Brown gesehen.

Zumindest glaube ich das, es waren schließlich mehrere und die sehen ja alle gleich aus mit ihren Goldkettchen und dem Achtung-ich-bin-ein-Star-und-total-erledigt-von-dem-krassen-Rumgehopse-auf-der-Bühne-Handtuch überm Kopf.

Dass ich mitten in Prominent! gelandet bin, hab ich zugegebenermaßen erst bemerkt, als ich kurz von einer semi-anspruchsvollen, aber dennoch fesselnden Unterhaltungssendung des hessischen Rundfunks aufblicke und lauter aufgeregte Teenies sehe, die ihr Handy in Video-Pose auf mein Taxi richten. Gruselig, da bin ich reflexartig direkt erst mal tiefer in den Sitz gerutscht.

Die Aufmerksamkeit galt zum Glück nicht mir, sondern dem dunklen Wagen, der neben mir vor dem Hoteleingang hielt. Hab mich als Gegenpart zu den hyperventilierenden Fans mal betont unbeeindruckt gezeigt, um für ein bisschen Realismus zu sorgen. Leider vergeblich…

Als mir kurz darauf zwei Mädels ins Taxi steigen, ist die eine noch ganz aufgeregt:

„Wenn ich den Chris Brown näher gesehen hätte, dann …“

Ich erwarte ein „… hätte ich ihn abgeknutscht“ oder „… wäre ich in Ohnmacht gefallen“ und lächle schon mal mild, aber weit gefehlt:

„… hätte ich ihn geschlagen, so wie er es mit seiner Freundin gemacht hat!“

So verliert man Fans, Christopher!

Und weil sie gerade noch mit ihrem Smartphone hantiert, will sie mich plötzlich auch unbedingt fotografieren, um ihren Freunden in Brasilien zu beweisen, dass es in Deutschland wirklich „solche Taxifahrerinnen“ gibt (was immer sie damit zum Ausdruck bringen will).

Ich, solche Taxifahrerin, nur ein Foto hinter Chris Brown – da kann er sich aber mal geehrt fühlen. 😀


Benebelt bis Haiter(bach)

29. September 2012

Es ist Wasenzeit. Das erkennt man einerseits an der plötzlichen Invasion von verdirndlten und lederbehosten Weiblein und Männlein, andererseits daran, dass sich in der Mercedesstraße alle zwei Meter Fahrgäste auf einen stürzen und ganz und gar nicht verstehen, warum man sie nicht mitnimmt.

So gern ich Winker habe, aber wenn fünf Meter hinter mir der Taxiplatz beginnt, darf ich nun mal niemanden einsteigen lassen. Ich kämpfe mich also mit aktivierter Zentralverriegelung – wer einmal sitzt, steigt nie wieder aus – durch  die Menschenmenge und muss am Zebrastreifen halten. Sehr gefährliches Pflaster. Da hämmert es auch schon von allen Seiten an meine Fenster.

„Frei?“

Kopfschütteln.

„Gleich dahinten ist der Taxiplatz.“

„Ja, aber bist Du frei?“

„Nein, ich darf euch hier nicht mitnehmen, geht bitte zum Taxiplatz.“

Ein stechender Blick ins Wageninnere. Meinen Korb nimmt er als persönlichen Affront:

„Aber ich sehe keinen Fahrgast!!!“

sagt er im „Verarschen kann ich mich allein“-Tonfall und zieht beleidigt von dannen.

Ein paar Kilometer später in der Innenstadt greife ich dann doch noch einen zünftigen Wasengänger auf. Er steht mit rotweißkariertem Hemd, Lederhosen, Hosenträgern und weißen Kniestrümpfen fasziniert vor einer Leuchtreklametafel und winkt, obgleich anscheinend der Welt entrückt, nach einem Taxi.

„Nach Herrenberg… Mehr als 100?“

„Nee, weniger. Um die 60.“

„Okay. Dann … bring mich nach Herrenberg!“

beschließt er staatsmännisch.

Kurze Zeit später:

„Können wir auch Nagold machen?“

„Wir können alles machen, wenn Du mich dafür bezahlst. 😉 Und wohin genau in Nagold?“

„Puh… Nagold halt. Ich weiß auch nicht, was es da für Straßen gibt. Ich sag’s Dir dann.“

*Alarmschrillen*

Bei so großen Fahrten lasse ich mir meistens die genaue Adresse geben. Zum einen fürs Navi, zum anderen als Sicherheit, falls am Zielort entweder der Fahrgast stiften geht oder sich sonstige Probleme beim Bezahlvorgang ergeben. Man sollte ja meinen, als Taxipreller wäre man clever genug, sich Fakeadressen und -namen einfallen zu lassen, aber – und ich spreche aus Erfahrung – dem ist nicht so. Man muss die Leute nur da abholen, wo sie stehen, und manche machen’s einem wirklich leicht.

„Ich wohne ja nicht direkt in Nagold. Ein Dorf weiter…“

So richtig festlegen wollte er sich aber auch hier nicht. Nach einer Anzahlung von 50 € war ich aber erst mal beruhigt und er fiel nach wenigen Sekunden in den Tiefschlaf.

Kurz vor Nagold stupse ich ihn mal an. Keine Reaktion.

In Nagold stupse ich ihn wieder an und flöte ihm ins Ohr. Sein Kopf kippt nach vorn.

Am Ende von Nagold stupse ich ihn mehrfach an. Erfolglos.

Die Uhr zeigt mittlerweile 80 € und ich habe keine Ahnung, in welche Richtung wir müssen.

Ich werde etwas rabiater, rüttele, schüttele und schreie. An seiner Stelle würde ich auch nicht aufwachen wollen. Als ich ums warnblinkende Auto herum gehe, seine Tür öffne und neben ihm kniend das Prozedere wiederhole, rollt von hinten eine Streife heran. Mit vereinten Kräften bekommen wir ihn wach und er scheint plötzlich wieder voll da zu sein. Einen Ausweis hat er nicht dabei, aber weil er friedlich wie ein Lämmchen dasitzt und alle Umstehenden beseelt anlächelt, fahren wir zu zweit weiter.

Er lotst mich zunächst scheinbar zurechnungsfähig durch ein paar Kreisverkehre und schläft dann wieder ein. Mitten im Satz. Aber diesmal bin ich schneller und mache ihn gleich wieder wach.

„Wohin jetzt?“

„Nooo.“

„Was?“

„No!“

Er lächelt mich an.

„Wo wohnst Du?“

„Wo bist Du denn jetzt?“

„In Nagold!“

„In Nagold bist Du?“

fragt er freundlich, als säße er nicht mit im Auto.

„Wohin musst Du?“

„Hauptbahnhof.“

Um drei Uhr morgens. Nie im Leben.

„Aha. Welche Stadt denn?“

„Stuttgart.“

Oje.

„Du kannst mich aber auch einfach hier rauslassen“,

bietet er an.

Da muss ich dann doch mal lachen. Er blickt sich indes um, als wäre er niemals hier gewesen. Nach weiteren Minuten bekomme ich zwar wieder keinen Ort, aber wenigstens eine grobe Wegbeschreibung. Sein Kopf wackelt erneut verdächtig hin und her, aber ich lasse ihn nicht einschlafen.

An einer geschlossenen Tankstelle mitten im Nirgendwo – kurz nach Iselshausen (damit sich auch wirklich jeder ein Bild machen kann, der Ortsname spricht hier für sich selbst!) – umgeben von Wäldern und Wiesen, zückt er sein Portemonnaie und will aussteigen.

Ich stecke erst mal die restliche Kohle ein. Alles, was er hat, aber nicht genug. Vier Euro schenke ich ihm notgedrungen. Dann schnalle ich ihn wieder an und rolle weiter.

„Komm, ich fahr Dich jetzt noch kurz nach Hause. Sag mir, wo Du wohnst!“

„Nein, nicht nötig. Ich laufe. Das ist vielleicht noch ein Kilometer.“

Langsam wird es anstrengend, aber ich kann ihn hier nicht ruhigen Gewissens einfach aussetzen. An jedem Wegweiser frage ich ihn, ob er in diesem oder jenen Kaffe wohne. Bei „Haiterbach“ endlich ein Treffer. In Haiterbach selbst will er wieder in der Ortsmitte aussteigen.

„Moment mal, hier jetzt oder bis nach Hause?“

fragt er unsicher.

„BIS NACH HAUSE!!!“

Dort angekommen bin ich mir nicht sicher, ob er sich das Haus nur willkürlich ausgesucht hat oder wirklich hier wohnt, aber dann verschwindet er tatsächlich in der Tür.

„Ach, und DANKE!“

ruft er mir noch nach.

Immer wieder gerne. 😉


Ich hab‘ ja sonst nichts zu tun

22. September 2012

Ich liebe das Taxifahren heiß und innig, aber gelegentlich könnte ich meinen Job und manche Mitwirkende echt an die Wand klatschen.

Die gestrige Schicht ließ sich zunächst ganz gut an, sogar mit einer Tour nach Böblingen, doch gegen 2 Uhr kam sie dann: die Pechsträhne. Und sie wollte gar nicht mehr aufhören.

Es begann mit einem Auftrag in die Landhausstraße, wo ich im strömenden Regen meine Kundschaft zweimal daran erinnern durfte, dass ich längst vor dem Haus stehe. Kein guter Anfang. Meine Laune schwand aber erst, als fünf junge Männer wie selbstverständlich in mein Taxi wollten, das – Überraschung: die Geheimsitze einer E-Klasse verstecken sich nicht im Kofferraum – leider kein Großraumtaxi ist.

Sie hätten aber eines bestellt:

„‚Für fünf Personen‘, habe ich extra noch gesagt.“

 Also habe ich die Zentrale angefunkt, um die Sache zu klären.

„Nein, hat er nicht!!!“,

war die kundenorientierte Antwort des Zentralisten. Wie auch immer, einer von beiden hat Mist gebaut und wer darf es ausbaden? Ich. Kein Wort der Entschuldigung von irgendwem, nur ein

„Wir zahlen die Anfahrt jedenfalls nicht!“

der Jungs

und ein pampiges

„Und was soll ich da jetzt machen?!?“

der Zentrale, wie immer dicht gefolgt vom Funkabbruch.

Aber gut, Fehlfahrten sind insbesondere nachts nicht gerade selten und einzeln durchaus zu verkraften, nur im Rudel wird’s irgendwann schwierig. Denn in Sillenbuch ging es direkt weiter. Ich warte seit einer gefühlten Ewigkeit auf die Vorbestellung und bekomme kurz vorher einen Auftrag, der – ich hatte schon so ein Gefühl – nur wenige Sekunden, nachdem die Vorbestellung an meinen Hintermann ging, widerrufen wird.

Zurück am Platz bekomme ich eine „600 Neuhausen“ – Abholung von außerhalb. Die darf man eigentlich wegen der weiten Anfahrt ablehnen, doch aufgrund der „600“ muss ich den Auftrag annehmen, da die Fahrt wohl nach Stuttgart gehen soll. Viele Minuten später in Neuhausen ist vom Fahrgast nichts zu sehen. Ich kurve über das komplette Industriegelände, passiere dabei mehrmals drei unheimliche Gestalten, die ich lieber mal nicht anspreche, weil sie wohl gerade ihren Drogengeschäften nachgehen, und funke dann die Zentrale an.

„Ich ruf den mal an“,

verspricht der Zentralist, doch anstatt einer Rückmeldung bekomme ich stillschweigend den Widerruf auf den Funk. Erst auf meine erneute Anfrage hin heißt es dann, der Fahrgast bräuchte doch kein Taxi mehr. Nach dem zweiten Funkabbruch mitten im Gespräch an diesem Abend war ich dann so richtig gut gelaunt.

Zurück in Sillenbuch habe ich zwar die glorreiche Position „0“, was bedeutet, dass ich vor allen anderen den nächsten Auftrag bekomme. Bringt mir aber in dem Moment so ziemlich genau gar nichts, da ich sowieso die einzige Idiotin bin, die sich noch frei in diesem Sektor aufhält. Die anderen Kollegen sind mit den sieben Aufträgen beschäftigt, die in der letzten halben Stunde, die ich sinnlos in Neuhausen verbracht habe, in Sillenbuch rausgingen.

Aber egal: neues Spiel, neues Glück. Wieder eine Vorbestellung. Ein Kollege fährt gerade auf den Platz, zwei Aufträge gehen zeitgleich raus. Er bekommt die Vorbestellung und ich bekomme – you’ve guessed it – eine Pflichtabholung außerhalb. Auf dem halben Weg nach Scharnhausen wird auch dieser Auftrag kommentarlos widerrufen. Ich bekomme wieder die „0“, die mir wieder nichts bringt, denn der Platz ist leer. Der Kollege fährt wohl gerade zum Flughafen…

Mein nächster Auftrag bot dann allerdings doch mal wieder einen Fahrgast, so richtig in Fleisch und Blut, der seine Erscheinung auch extra noch mal mit einem beruhigenden

„Ich bin da!“ 🙂

freundlicherweise für mich bestätigte, nachdem ich ihm mein ganzes Leid geklagt hatte.

Das sollten sie alle sein, die Fahrgäste: einfach mal da, wenn man sie braucht. Ich bin’s schließlich auch.


Den Abend hatte er sich anders vorgestellt.

9. September 2012

Ich kurve gerade noch etwas unentschlossen in der Kronprinzstraße rum, als sich mir von rechts ein abgehetzt wirkender Winker nähert. Er hat schon viel durchgemacht an diesem Abend, wie ich später erfahren sollte.

„Hey, bist Du frei?“

„Klar.“

„Okay, cool. Kannst Du ganz kurz warten? Meine Freundin liegt dahinten.“

Der Moment, in dem ich hätte Gas geben sollen. Aber ich habe ein weiches Herz und der Kerl tut mir leid, also rolle ich in die angedeutete Richtung, um Madame den Weg vom Asphalt ins Auto so unkompliziert wie möglich zu gestalten. Sie liegt tatsächlich zusammengekrümmt auf dem Boden und als er sie mit größter Mühe auf die Beine zieht, wobei sie um ein Haar wieder auf die andere Seite überkippt, rutscht mir die zugegebenermaßen etwas dümmliche Frage raus:

„Ihr ist aber nicht schlecht, oder?“

Nein, es geht ihr natürlich gut und sie liegt nur aus Spaß auf dem kalten Steinboden.

Er, im Brustton der Überzeugung:

„Hey, keine Angst, die kotzt nie, ich schwör! Nie im Leben!“

Sie steht mittlerweile wie ein Häufchen Elend zitternd und heulend neben dem Auto und scheint sich seiner Worte nicht ganz so sicher zu sein.

„Sie ist nierenkrank“,

fügt er noch hinzu, um sicherzustellen, dass ich es mir nicht doch noch mal anders überlege. Und er hat es geschafft: eine Nierenkranke stehen zu lassen, bringe ich dann doch nicht. Also fügen wir uns alle unserem Schicksal und nachdem sie ihn ankeift, er solle gefälligst zuerst einsteigen, sonst lege sie sich wieder auf den Boden, fahren wir los – nach Ludwigsburg. Nicht dass ich etwas gegen größere Fahrten hätte, aber warum gehen die in den meisten Fällen mit den ungemütlichsten Fahrgästen einher?

Unterwegs herrscht Stille, einzig unterbrochen von ihrem permanenten Schniefen und Wimmern.

Dann startet sie ihren anklagenden Monolog:

„Ich muss in die D-Straße! Nummer 47! Haben Sie das? HABEN SIE DAS? Wie lange noch? Ich will sofort nach Hause. Ich gehe nicht mit zu Dir nach Hause. FASS MICH NICHT AN! Rede nie wieder mit mir, okay?“

Sie klingt erstaunlich bösartig. An seiner Stelle würde ich ihrem Wunsch Folge leisten.

„Fass mich nicht an, verdammt!“,

heult sie noch mal und kippt in derselben Sekunde links über auf seinen Schoß. Dann ist Ruhe.

Aber in ihm brodelt es. Er hat leider keinerlei Gespür für diese offensichtliche „Einfach mal die Klappe halten“-Situation und lässt die Vorwürfe nicht auf sich sitzen:

„Was hab ich Dir denn getan?!“,

schreit er zurück.

„Ich hab Dir nichts getan! Du tust hier so, als hätte ich Dich vergewaltigt, ich mache doch gar nichts!“

Er wiederholt:

„Was hab ich Dir getan, verdammt?“

Ich denke: Was habe ICH getan, verdammt? Und warum ist hier nur Tempo 80?

Endlich am Ziel angekommen hat zumindest er sich scheinbar beruhigt.

„Ich zahle das, ich muss eh noch weiter, Du kannst aussteigen.“

„Nein, ICH zahle.“

„ICH zahle das, ich muss doch sowieso noch WEITERFAHREN! Steig aus jetzt!“

Er greift an ihr vorbei, öffnet die Tür und versucht sie aus dem Auto zu schieben.

Sie hängt mit dem Oberkörper im Freien und brüllt:

 „Also entweder schlage ich Dir jetzt die Fresse ein oder Du lässt mich meinen Scheiß selber zahlen!“

Er schubst sie beherzt weiter.

Ich formuliere in aller Herzensgüte die freundliche Bitte, sie doch – wenn irgend möglich – lieber nicht aus dem Auto zu stoßen, und erkundige mich außerdem wohlwollend nach seinem Geisteszustand. Den genauen Wortlaut möchte ich hier nicht wiedergeben, schön war es nicht. Aber es wirkt.

Sie zahlt und verschwindet, er fährt eine Ortschaft weiter.

Auf dem Weg dorthin erzählt er mir, dass es heute sein erstes Date mit ihr war.

„Und wohl auch das letzte…“,

fasse ich sachlich zusammen.

Meine Sorge um sein gebrochenes Herz ist allerdings unbegründet, denn sein Fazit fällt wie folgt aus:

„Ach, weißt Du, das ist mir alles egal. Mir rennen tausend Frauen hinterher. Ich weiß, ich sehe gut aus. Ich wurde sogar im ‚Kings Club‘ von irgendwelchen Typen angemacht, SO gut sehe ich aus! Ich wollte ihr nur eine Chance geben, aber das kann sie jetzt stecken. Es gibt nur eine Sache, die mich an der ganzen Sache nervt: dass ich’s mir jetzt heute Nacht selbst machen muss.“

Äh, ja. Männer. 😐