Liebes Schicksal,
ich sehe ein, es kann nicht immer so gut laufen wie die letzten Wochenenden.
Ich weiß auch, in keinem anderen Job ist man dem Zufallsprinzip hinsichtlich der Fahrgäste, den dazugehörigen Touren und dem daraus resultierenden Tagesumsatz sowie der extrem aggressionsfördernden Ampelschaltung (deretwegen ein Kollege vor einem auf den Taxiplatz fährt, sich positioniert und fünf Minuten später einen Auftrag bekommt, während man selbst noch eineinhalb Stunden länger warten muss) derart ausgeliefert, aber das heute musste dann doch wirklich nicht sein, oder?
Aber lest selbst, eine Aneinanderreihung von kleineren und gegen Ende auch noch größeren Ärgernissen der Pechmia.
Meine Touren waren Scheiße. Durch die Bank.
Als mein Wecker um sechs Uhr klingelte, hab ich mich noch mal umgedreht und somit erst kurz vor acht angefangen.
Meine erste Fahrt hatte ich dann um 10.30 Uhr für 7,50 € (vom Friseur nach Hause). Die zweite Fahrt für 13,10 € (von Zuhause zum Supermarkt) und die dritte für 13,40 € (vom Supermarkt nach Hause – gleiche Kundschaft, hab ein Piccolöchen geschenkt bekommen, war nett). An die vierte Fahrt kann ich mich nicht mal mehr erinnern, was bei mickrigen 6,20 € nicht weiter verwunderlich ist.
Dann hat mich eine höhere Macht kurz verarscht und mir, als ich deprimiert an einer Ampel stand und in Feierabendgedanken schwelgte, einen Auftrag beschert. Als ich drei Minuten später am Hotel vorfuhr, war mein Fahrgast bereits weg – schönen Dank an das Kollegenschwein, das ihn mir weggeschnappt hat -, was ich allerdings erst fünf Minuten später erfuhr, da sich die Hotelangestellte sicher war, der Herr sei noch auf der Toilette, und ich wartete und wartete und wartete, bis die Hoffnung starb.
Als ich wutschnaubend den zwanzig Meter entfernten Taxiplatz am SI-Centrum anfahren wollte, hat sich direkt ein anderer Kollege vorgedrängelt, aber ich bekam aufgrund der Fehlfahrt wenigstens die erste Funk-, wenn auch nicht Standposition. Bei einem Einsteiger hätte ich Pech gehabt, der erste Auftrag würde jedoch an mich gehen. Dieser kam dann auch kurze Zeit später aus dem Nachbarsektor Möhringen, den ich dankbar angenommen habe, und wo durfte ich abholen? Richtig, an einer Kneipe.
Ich fahre die Kneipe an, der Wirt guckt schon aus dem Fenster und ruft meinem Fahrgast zu:
„Oh, eine Schnecke!“
Da sind meine Mundwinkel direkt wieder nach unten gesackt.
Besagter Herr kam dann auch alsbald auf die Straße getorkelt und lallte irgendwas von wegen:
„Weißte, wenn Du mir mein Auto aufschließen würdest, könnte ich vielleicht sogar selbst fahren, oder? Ach, ich weiß nicht. Das mach‘ ich lieber nicht, oder was meinst Du?“
Ich: „Hahaha, ja, nee, genau. Lieber nicht, ne?“ Gähn.
Er hat sich dann noch kurz in den Schnee gelegt und sich lauthals beömmelt. Ich lachte mit. Dachte er. Anlachen und auslachen sind halt zwei Paar Schuhe, aber nach dem einen oder anderen Glas vermag man da nicht mehr zu differenzieren.
Eigentlich wollte er zum Fasanenhof, als wir zweihundert Meter nach dem Losfahren einen Kreisverkehr passierten, entschied er sich aber spontan für eine andere Richtung und wollte mich mit den Worten:
„Jetzzzz gibt’s Ärger…“
in einen Hinterhof lotsen. Hab mich dann halb auf dem Gehweg, halb im Hof stehend geweigert und wollte wissen, was Sache ist.
Ich: „Was machen wir hier?“
Er lallend: „Wir gehen jetzt was trinken!“
Ich: „Nein, das machen wir nicht.“
Er insistiert: „Ohhhhhhh…“ Röchel. „Doch.“
Ich: „Dann bezahlen wir jetzt mal.“
Er belustigt: „Hä, hast Du etwa Angst oder was???“
Ich: „Nö, aber hier ist scheinbar Endstation und ich will jetzt mein Geld.“
Er beim Aussteigen: „Keine Sorge, Mäuschen, ich würde nieee. Nieeee würde ich…“
Er stolpert in den Schnee, verliert sein Portemonnaie und ruft einem Mann zu, der ihm entgegen kommt, er solle mich doch bezahlen.
Typ: „So, dann machen wir mal ein Bisschen Trinkgeld.“
Ich seufzend: „Das will ich auch hoffen.“
Typ lachend: „Ja, das ist doch klar. Der ist immer anstrengend. Und jetzt hab ich ihn an der Backe!“
Gott sei Dank, möchte ich hinzufügen.
Mittlerweile haben wir halb fünf, zu früh für Feierabend, zu spät um noch in die Stadt zu fahren. Also warte ich eine Dreiviertelstunde auf eine Vorbestellung am Europaplatz, gewillt, dem Schicksal noch eine Chance zu geben. Für 11,30 € komme ich dann nach Vaihingen, fahre danach zum Ablöseplatz, steige mit glorreichen 57,60 € Tagesumsatz in mein Auto, betätige den Scheibenwischer und … ein Teil kracht ab und fliegt in hohem Bogen in den Schnee. Hallelujah. Mein Auto ist fünf Monate alt, deutsche Wertarbeit, gehobene Mittelklasse – was also soll der Scheiß? Da war nicht mal was gefroren. Ich steige aus, fummle in tiefschwarzer Dunkelheit erfolglos an den Scheibenwischern rum und als ich gerade überlege, ob ich ohne das Teil über die Autobahn nach Hause komme, fängt es an dicke Flocken zu schneien.
Ich stapfe zur Bushaltestelle – Bus weg. Ich wage mich mit meinem Auto über die B27 nach Degerloch in Richtung U-Bahn und sehe ein: Autofahren ohne Scheibenwischer geht echt gar nicht. Der Taxiplatz in Degerloch liegt direkt neben dem Eingang zur U-Bahn-Station, sehr verlockend also, aber ich wollte vernünftig sein und löse mir ein Ticket für 2,45 € zum Hauptbahnhof. Das erste Mal seit fünf Jahren und das geschätzte dritte Mal überhaupt in meinem Leben fahre ich U-Bahn. Am Hauptbahnhof angekommen fühle ich mich so ein Bisschen wie in „Aus dem Dschungel in den Dschungel“ und als ich endlich die Rolltreppe zur S-Bahn-Station erreiche, steht da: „S1 – 0 Minute(n)“. Haha. Warum nicht gleich „-1 Minute(n)“, damit es auch so richtig schön weh tut?
Da hatte ich dann endgültig die Schnauze voll, stapfe vor mich hin fluchend durch den Schnee zum Steigenberger oder vielmehr dem davor liegenden Taxiplatz, in just jener Sekunde kommt ein Taxi angefahren und ich springe hinein. Speziell nach meinem letzten Eintrag freue ich mich in diesem Moment ganz besonders, mal wieder Taxitester spielen zu dürfen. Diesmal war ich jedoch inkognito unterwegs, sonst erzähle ich meistens gleich, dass ich auch fahre, um vielleicht noch einen Freundschaftspreis rauszuschlagen.
Mein Taxifahrer gab sich eher wortkarg, fuhr sogleich mit Kick-Down an und hielt mit Vollgas auf einen über die Straße rennnenden Fußgänger zu. Wenigstens wurde mir dadurch wieder warm. An der nächsten roten Ampel rollt er nervös Stück für Stück vor, sodass er eigentlich schon mitten auf der Kreuzung stand, als es endlich grün wurde. Den Rest der Fahrt fasse ich mal zusammen mit: Drängeln, rasen, rechts überholen, Gas geben und gleich wieder abrupt abbremsen, alle zehn Sekunden die Scheibenwischanlage bedienen. Herrlich.
Auf halber Strecke kommt von ihm ein halbherziger Gesprächsversuch:
„Ist ja doch noch ganz schön warm geworden.“
Ich blicke irritiert auf die Temperaturanzeige: -3° C. Okay, heute Morgen hatten wir -10° C, insofern hat er dann doch irgendwie wieder Recht.
Zuhause angekommen gebe ich 12% Tringeld und was sagt er? NICHTS. Kein Sterbenswort des Dankes. Ich wollte ihm daraufhin mein Geld schon fast wieder aus der Hand reißen. Dafür zeigt er mir beim Aussteigen dann seine fürsorgliche Ader:
„Vorsicht, es ist glatt.“
Sag bloß. Schneeberge, wohin das Auge blickt, aber das hätte ich jetzt nicht gedacht… Meine soeben berechnete Umsatzbeteiligung befindet sich jedenfalls im Geldbeutel meines Taxifahrers, ergo: Der Tag war voll umsonst. Aber wenn man es unbedingt krampfhaft positiv sehen will, ich hab immerhin keine Verluste gemacht.
Bleiben nur noch einige wenige Fragen offen:
1. Wie komme ich morgen früh zu meinem Taxi?
2. Wie komme ich morgen Abend von meinem Taxi zu meinem Auto?
3. Wer repariert an einem Sonntag meinen Scheibenwischer?
4. Falls ich niemanden finde, der ihn repariert, wie komme ich von meinem Auto nach Hause?
Vorschläge werden bis morgen früh dankbar entgegengenommen.
Und jetzt suche ich den Ort auf, wo ich heute Morgen einfach hätte bleiben sollen: Mein Bett.